Michael Kamauf ist evagelischer Diakon in Gleisdorf und er hat das gleiche Problem wie viele andere derzeit auch: Das weihnachtliche Getue nervt ihn furchtbar. Heuer allerdings weniger als sonst. WIR OSTSTEIRER haben Michael getroffen und genauer nachgefragt, was ihm daran gegen den Strich geht.
WIR OSTSTEIRER (WOS): Lieber Michael, freust du dich schon auf Weihnachten?
MICHAEL KAMAUF: Irgendwie schon, ja. Das hast du jetzt nicht erwartet, oder? Ich freu mich deswegen, weil Weihnachten noch nie so aktuell war wie 2015.
WOS: Du spielst damit auf die Flüchtlingsthematik an?
MICHAEL: Natürlich. Was mir so auf die Nerven geht im Advent ist dieses liebliche „wir müssen alle nett zueinander sein“ – ich halte das für sehr infantil. Ich halte den Auftrag Gottes, eine Welt des Friedens zu schaffen, für das Wichtigste. Das sollte uns gerade zu Weihnachten wieder klar werden.
WOS: Was ist am heurigen Weihnachtsfest anders?
MICHAEL: Dass man das sehen muss, was hier eigentlich läuft. Und was da kommt, und ich sag das bewusst sächlich, denn es kommt ja nicht „was“, sondern Menschen wie du und ich. Es kommen nicht syrische Staatsbürger oder afghanische oder afrikanische, es kommen Menschen wie du und ich. Es kommen Familien, es kommen einzelne Männer aus Gründen, die wir nicht kennen – vielleicht waren sie die einzigen, die überlebt haben oder es sich leisten konnten – so wie es ist, wenn man alles auf eine Karte setzt, so wie halt geflüchtet wird. Das Schöne ist heuer, dass die Leute mithelfen. Dass gratis Deutschkurse gemacht werden, dass die Menschen versorgt werden, dass es sehr viel Unterstützung gibt. Alleine die Geschichten am Westbahnhof, was da gearbeitet worden ist. Es gibt tatsächlich so eine Art Willkommenskultur. Das finde ich für Österreich sehr spannend.
WOS: Andererseits gibt es aber auch die, die keine Flüchtlinge ins Land lassen wollen.
MICHAEL: Merkwürdigerweise gibt es auch heute noch Leute, die Schwule hassen, obwohl sie sich als Christen bezeichnen. Ich versteh das nicht. Es gibt Menschen, die sind so einfach strukturiert. Da braucht man auch gar nicht diskutieren, das hat einfach keinen Sinn. Damit muss man leben lernen.
WOS: Was steckt da dahinter? Die Angst vor dem Fremden?
MICHAEL: Angst vor dem Fremden oder Anderen klingt mir in der Beziehung schon zu differenziert. Ich glaube, die haben Angst vor Veränderungen. Veränderungen in mir und in der Gesellschaft. Das ist für mich noch viel schlimmer. Für mich sind das Aschenträger in der Tradition. Man kann die Flamme tragen oder die Asche, und das sind Aschenträger.
WOS: Wie kann der ursprüngliche Weihnachtsgedanke als Feuer weitergetragen werden und nicht als Asche, gerade heute in dieser Situation?
MICHAEL: Ich sag es jetzt „pädagogisch präpotent“: Wer es diesmal nicht kapiert hat, kapiert es nie. Alleine, was man in Spielfeld gesehen hat oder in Traiskirchen, die Bilder… In der Schule hab ich ein Bild verwendet von zwei Kindern am Westbahnhof, die ihre Eltern nicht mehr gefunden haben. Nur durch dieses Bild ist allen klar geworden, dass es jetzt Weihnachten spielt – inklusive der Fluchtgeschichte. Jesus und Josef und Maria müssen ja auch ins verhasste Ägypten flüchten vor Herodes. Also in das Land, wo sie eigentlich Jahrhunderte zuvor befreit worden sind von Gott und Moses – genau dort müssen sie hin. Das ist ja eine Perversion dieser ganzen Geschichte, eine unglaublich gut gemachte. Es zeigt, wozu du bereit sein musst, wenn du flüchten musst.
WOS: Können wir hier in Europa überhaupt nachvollziehen, was “Flucht” bedeutet?
MICHAEL: Ich glaube, dass die wenigsten Leute auch nur einen blassen Schimmer haben, was das bedeutet. Wenn unsere Österreicherinnen und Österreicher sich weniger mit Rapid oder Austria, sondern mehr mit Geschichte befassen würden, dann wüssten sie, was das bedeutete, 1945 aus den sogenannten Ostgebieten des Reiches flüchten zu müssen, aus Pommern und aus Schlesien. Wenn man sich alleine diese Bilder ansieht, niemand hilft ihnen und von oben kommen die Bomben der Roten Armee – das ist ja nur zwei Generationen her! Wenn man in der Schule besser aufgepasst hätte und sich ein bisschen emotionaler mit den Sachen beschäftigt hätte, dann wüsste man heute, was Flucht, Vertreibung und Krieg heißt. Es ist gut, dass das heuer so stark präsent ist, gerade zu Weihnachten. Wir merken, dass wir in unserem satten Europa nicht der Maßstab sind, sondern die Ausnahmen dieser Welt. Dass viel mehr geflüchtet wird, als in Ruhe gelebt werden kann. Das ist es, was mich heuer an Weihnachten fasziniert.