Mit 15 war sie als Sozialarbeiterin in Berlin: So tickt Anna Strempfl

Jeder Mensch hat eine Geschichte zu Erzählen. In unserer Serie „Wie tickst du“ interviewen WIR OSTSTEIRER unsere Leser. Anna Strempfl erzählt uns, warum sie nie allein sein wird und wie es sich mit einem ausgeprägten Helfersyndrom lebt.

Ich bin… glücklich!

Ich will… reisen

Ich werde nie… alleine sein


 

WIR OSTSTEIRER (WOS): Anna, was macht dich glücklich?
ANNA: Zeit mit Familie und Freunden verbringen, lange Spaziergänge, am Abend Ruhe und gute Musik, ein Glas Wein dazu, Lange schlafen, gutes Essen, reisen… Mich machen oft Kleinigkeiten glücklich. Ich schau mir oft den Sonnenuntergang an, und auch den Sonnenaufgang.

WOS: Bist du ein Naturmensch?
ANNA: Ja, auf alle Fälle. Die Ruhe fasziniert mich. Auch der Weg dorthin, bis man zum Beispiel an einem Berg ist, und das Gefühl, etwas erreicht zu haben, wenn man oben steht. Die Natur ist nie gleich. Kein Sonnenaufgang, kein Sonnenuntergang ist gleich, jeder Tag ist anders. Auch die Tierwelt ist was Faszinierendes. Die Artenvielfalt, vieles ist noch so unerforscht.

WOS: Was ist dir lieber, Menschen oder Tiere?
ANNA: Ich finde schade, was der Mensch mit der Natur macht. Das finde ich den Menschen selber und auch den Tieren gegenüber rücksichtslos. Wenn es um Rücksichtnahme geht, sind mir die Tiere lieber. Ich brauch aber schon Menschen auch, ich bin kein Menschenfeind.

WOS: Hast du einen großen Freundeskreis?
ANNA: Ja. Ich bin ein sehr geselliger Mensch und ich finde, man kann sehr viele Bekannte haben und auch viele Freunde. Aber ganz enge Freunde, denen man alles anvertraut – das sind wenige. Ich habe sehr gute enge Freunde, und das finde ich auch sehr wichtig.

WOS: Du hast gesagt, du magst Reisen. Wo warst du schon überall?
ANNA: Meine Eltern haben mich immer mitgenommen in die Welt hinaus. Italien, Kroatien, wo man halt so hinfährt mit der Familie. Deutschland, Irland, Israel, Türkei, Ägypten, Rumänien und Ungarn, Spanien, Frankreich, Schweiz, Holland…

 

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WOS: Wow, du bist ja schon viel herumgekommen. Was hast du da gemacht? Urlaub?
ANNA: Größtenteils Urlaub, ja. In Deutschland, in Berlin, habe ich zweimal den Sommer verbracht und dort ein Praktikum als Sozialarbeiterin gemacht, in einer Tageswerkstätte für Kinder und Jugendliche.

WOS: Sozialarbeit in Berlin, das klingt Hardcore.
ANNA: Im Gegensatz zu uns hier ist es das auch. Ich will da nichts werten, aber Jugendliche dort in dem Außmaß unter Dach und Fach zu bekommen, ist schon was anderes. Die Einrichtung war in Marzahn, das ist ein Plattenbaubezirk. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Bildungsniveau niedrig. Bildung ist auch den Jugendlichen dort nicht so wichtig. Das war nicht leicht. Ich war ja selber erst 15, als ich das erste mal alleine draußen war. Vor allem das Durchsetzen war hart, ich war das nicht gewohnt. Solche Kinder und Jugendliche habe ich noch nicht gekannt. Im zweiten Jahr ist es schon besser geworden. Man kennt sich schon, weiß wie der andere tickt.

WOS: Was ist der Unterschied zwischen den Kindern und Jugendlichen dort und denen bei uns hier am Land?
ANNA: Zum Beispiel, dass vierjährige Kinder Milch trinken, aber nicht wissen, woher die Milch kommt. Die Kinder dort, vor allem aus diesem Bezirk, haben teilweise auch ein hohes Agressionspotential, weil sie nicht die Möglichkeit haben, sich auszutoben. Da gibt’s Spielplätze, die vor 50 Jahren das letzte mal renoviert worden sind – da will keiner mehr spielen! Durch die Masse an Kindern muss man sich auch oft beweisen. Wir haben jeden Tag zwischen 40 und 70 Kinder betreut – zu viert!

WOS: Du studierst gerade Gesundheitsmanagement und Gesundheitsförderung, willst aber nicht weitermachen – warum?
ANNA: Ich sehe mich später in einem Beruf, wo ich mit Menschen arbeite, nicht mit Maschinen, den ganzen Tag am Computer. Ich arbeite wahnsinnig gern mit Menschen. Das ist mir wichtig. Das Studium ist mir zu wirtschaftlich, das ist mir beim Vorstellungsgespräch anders verkauft worden. Das erste Semester mach ich fertig, man macht ja nichts umsonst und nimmt sich überall etwas mit. Und wenn es nur das ist, dass ich weiß, was ich nicht will. Ich mach mir damit selber keinen Stress. Ich bin 19 jahre alt, hab ohne Sitzenbleiben meine Matura geschafft. Da ist es ganz ok, wenn man mal ein Jahr dabei hat, wo man erst schaut, wo man hin will. Ich hab mir fünf Jahre lang in meiner höheren Schule keine Gedanken darüber gemacht. Und dann stehst du da mit der Matura – und jetzt? Keine Ahnung.

WOS: Wo hast du maturiert?
ANNA: In Graz, in der HLW für Sozialmanagement. Die „Caritasschule“.

WOS: Also auch da schon in einem Bereich, wo es darum geht, sich um andere zu kümmern. Hast du ein ausgeprägtes Helfersyndrom?
ANNA: Ja, auf alle Fälle, das hab ich.

WOS: Und wie lebt es sich damit?
ANNA: Es ist nicht so leicht ab und zu. Wenn man das zu extrem lebt, ist es schon belastend, weil man sich dann oft selber nicht so wichtig nimmt. Vor allem in einem sozialen Beruf ist das blöd: Wenn es einem selber nicht gut geht, kann es auch einem anderen nicht gut gehen. Das ist etwas, was ich erst lernen muss. Das, und nein zu sagen. Ich helfe gerne, aber ich kann das nur, solange meine Ressourcen nicht leer sind.

WOS: Wie geht es dir damit, wenn du dir selber helfen lassen musst?
ANNA: Ich sag immer, ich brauche keine Hilfe, ich schaff das schon allein. Ich bin nicht gerne auf Hilfe angewiesen, aber ich gebe sie wahnsinnig gerne. Ich weiß aber sehr wohl, wenn ich wirklich Hilfe brauche, zu wem ich gehen kann. Das ist wichtig – dieses Vertrauen zu haben, wenn ich es wirklich brauche, ist jemand da.

WOS: Wann holst du dir Hilfe, und bei wem?
ANNA: Es hat schon Situationen gegeben, in denen ich Hilfe gebraucht habe. An die meisten kann ich mich wahrscheinlich gar nicht erinnern, da war ich ein Kind, da hat meine Mama einfach so geholfen. Nach wie vor ruf ich sie an, wenn mich was bedrückt. Bei meiner Mama fällt mir das leicht. Jeder braucht ab und zu Hilfe, wenn alles zu viel wird. Bei Beziehungsproblemen braucht man eine Freundin, die sagt, ist ja alles gar nicht so schlimm, die ablenkt und aus der Situation raushilft.

 

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WOS: Du wirst nie alleine sein, hast du gesagt. Diese Überzeugung hat nicht jeder. Was bringt dich zu der Überzeugung?
ANNA: Ich bin ein wahnsinnig geselliger Mensch. Wenn ich mein Leben so weiterlebe wie jetzt, wird immer jemand da sein. Das muss gar nicht auf der realen Ebene sein. Auch wenn jemand stirbt, habe ich nicht das Gefühl, den verloren zu haben.

WOS: Denkst du da an jemand bestimmten?
ANNA: Ja, an meinen Opa. Der ist gestorben, da war ich 12 Jahre alt, und das war für mich wahnsinnig schlimm. Das hat seine Zeit gebraucht, die Phase der Trauer. Das muss ja auch so sein. Das ist das Natürlichste auf der Welt. Wir kommen alle zur Welt und müssen alle irgendwann gehen, und das, was wir inzwischen hier machen… wer denk 50 Jahre später noch dran? Wenn man nicht gerade Quantenphysiker ist und im Geschichtsbuch steht. Mir ist es wichtiger, dass ich das was ich hier mache, nachhaltig mache, dass ich auf die Umwelt achte, und dass ich eine schöne Zeit habe mit den Menschen, die mir wichtig sind. Dann hab ich auch nicht das Gefühl, allein zu sein.

WOS: Was würde dein Opa über dein heutiges Leben sagen?
ANNA: Wahrscheinlich würde er mich fragen, ob ich verrückt bin, aber mit einem Lachen. Ich glaube, er wäre schon stolz auf mich. Er würde sagen: Egal was du machst, du musst glücklich sein und dir soll es gut gehen. Und so läufts ja auch.

WOS: Deine Botschaft an die Welt?
ANNA: Ich bin gerne mit mir selber glücklich, aber am Ende ist es nur das: Glück ist nur echt, wenn man es teilt.


 

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