Wenn vor Schulen und Kindergärten langsam wieder die „30er“-Beschränkungen und „Achtung Kinder“-Warntafeln montiert werden, wenn der Briefkasten überquillt, weil bereits das fünfzehnte Werbeprospekt von Schulstartaktionen eintrudelt und es morgens schon nach frühen Herbst duftet, dann wird einem langsam bewusst, dass der Schulstart nicht mehr lange auf sich warten lässt.
Am Montag war es dann auch schon wieder so weit – dieses Mal kam auch ich nicht an dem Trubel vorbei. Ich hatte dieses Jahr die Ehre, meinen jüngeren Bruder, stolze fünf Jahre alt, an seinem letzten ersten Kindergartentag zu begleiten.
Natürlich ist das kein Meilenstein wie etwa der allererste Schultag als Taferlklassler, trotzdem ein doch bedeutender Tag. Der Anbruch des letzten Kindergartenjahres bevor der Ernst des Lebens, wie man so schön sagt, beginnt. Das wird den Kleinen auch im Kindergarten langsam vermittelt. So wird im Kindergarten meines Bruders die Gruppe der Kinder, die im darauffolgenden Herbst die Schulbank drücken dürfen, „Schulknirpse“ genannt.
Man sollte meinen, dass sich Kinder darauf freuen würden
und stolz wären, schon bald zu den „Großen“ zu zählen.
Sollte man… Was aber, wenn nicht?
Wenn man nach dem zehnten Mal nachfragen „Freust du dich schon wieder auf den Kindergarten?“ und unzähligen Versuchen des guten Zuredens noch immer die selbe ernüchternde Antwort bekommt, die man als Elternteil, oder in meinem Fall als ältere Schwester, absolut nicht hören möchte – „NEIN!“ Ja, dann kann es schon passieren, dass man langsam nervös wird.
Da meine Mutter Montagmorgens sehr früh zur Arbeit fährt, fiel die ehrenvolle Aufgabe, den Schulknirps zu begleiten, mir zu. So bekam ich Sonntagabend schon eine lange Liste, was alles am ersten Tag zu beachten wäre, an was ich alles denken müsse und was ich auf keinen Fall vergessen dürfe. Kindergarten-Rucksack, Turnsäckchen, Regenbekleidung und noch vieles mehr standen in unserer Garderobe bereit. Nur mein kleiner Bruder war noch fest davon überzeugt „Ich gehe morgen nicht in den Kindergarten. Ich möchte kein Schulknirps sein!“
Schon bei der Fahrt war er ungewöhnlich ruhig und ließ sich in kein Gespräch verwickeln. Ich versicherte ihm, dass ich so lange bei ihm bleiben würde, wie er möchte und dass wir bestimmt Spaß haben würden – vergeblich, man konnte ihn zu keinem Lächeln ermuntern. Ich versuchte mir meine Sorgen nicht anmerken zu lassen und spazierte mit gespielter Gelassenheit vom völlig überfüllten Parkplatz in Richtung Kindergarten.
Als wir die Tür öffneten und
seine Betreuerin begrüßten,
war er plötzlich wie ausgewechselt.
Mit bester Laune platzierte er seine Säckchen ordentlich bei der Garderobe, plauderte noch ein bisschen mit mir und dann stürmte er auch schon zu den anderen Kindern. Völlig überrumpelt von seiner Stimmungsschwankung stand ich eine Weile verdutzt da und beobachtete die Bande, die bereits in ein Spiel vertieft war.
Als er mir liebevoll beibrachte, dass ich nach Hause fahren könne, weil er jetzt mit Spielen beschäftigt sei, kam es mir vor, als hätten wir die Rollen getauscht. Auf dem Weg zurück zum Auto – ich war noch immer etwas verdutzt – beantwortete ich erleichtert die zahlreichen Nachrichten meiner Eltern, die sich bereits an meinem Handy angesammelt hatten und versicherte ihnen, dass ihre Sorge nicht nötig war.
Wenn ich eines an diesem Tag gelernt habe, dann, dass unsere Kleinen manchmal schon viel größer sind, als wir denken. Kummer steht der Selbstständigkeit der Kinder hin und wieder nur im Weg und man steckt sie damit unbewusst an. Natürlich ist Fürsorge wichtig, aber manchmal sollte man sie einfach machen lassen. Und dann, wer weiß, überraschen sie uns vielleicht und befreien UNS von unserem Kummer, so wie es bei mir der Fall war.