“Ich bin nicht der Chef, ich bin der, der den Ton angibt!”

Er ist 20 Jahre alt, kommt aus Laßnitzhöhe und gehört zu den besten Nachwuchsdirigenten der Welt: Patrick Hahn. Er hat unter anderem mit dem Israel Chamber Orchester gearbeitet, mit den Hamburger Symphonikern und mit dem Leipziger Symphonieorchester. Im Sommer dirigiert er beim Aspen Music Festival in den USA.

Dazwischen, zur Entspannung, gastiert Patrick mit seinem Musikkabarettprogramm “Weil ich unmusikalisch bin” am 23. Jänner in Eggersdorf.

WIR OSTSTEIRER haben mit dem Musikwunderkind gesprochen und wir haben festgestellt: Ein lässiger Kerl!

 

WIR OSTSTEIRER (WOS): Wie kommst du auf die Idee, dein Programm ausgerechnet “Weil ich unmusikalisch bin” zu nennen?
PATRICK HAHN: Georg Kreisler, dessen Lieder ich im Programm singe, hat ein Stück geschrieben, das heißt “Der Musikkritiker”. Da drin kommt diese Zeile vor. Weil es eines meiner Lieblingslieder ist und zu mir passt, heißt das Programm so.

WOS: Man kann aber davon ausgehen, dass bei dir alles sehr musikalisch klingt, oder?
PATRICK: Naja. In der Uni muss man zwei Jahre lang Geige spielen. Ich kann keinen Ton Geige spielen und habe vor zwei Jahren erstmals so ein Ding in die Hand bekommen. Es ist ganz furchtbar. Mittlerweile gibt’s die Geige nicht mehr, die Uni ist vorbei und ich hab sie gut angebracht.

WOS: Deine Familie ist musikalisch nicht vorbelastet. Woher kommt dein Talent? Wie kannst du dir das erklären?
PATRICK: (lacht) Postlerkind? Irgendwer muss damit anfangen. Meine Brüder machen hobbymäßig Musik, meine Mama singt im Chor. Meine Eltern haben mich immer unterstützt mit der Musik und haben den Leuten geglaubt, die gesagt haben, der Bub hat musikalisch was drauf. Ich weiß nicht, ob ich das heute machen würde, wenn meine Eltern auch Musiker gewesen wären. So bin ich nie in eine Richtung gedrängt worden.

WOS: Mit dem Studium bist du fertig. Kannst du schon von der Musik leben?
PATRICK: Ja, eigentlich schon. Wobei ich nächsten Herbst wahrscheinlich in Deutschland oder der Schweiz noch den Master anhängen werde. Das zeigt sich in den nächsten Monaten, wo es hingeht. Es bewerben sich ja unzählige Leute auf einen oder zwei Plätze.

 

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WOS: Wie lernt man Dirigieren?
PATRICK: Die Technik, das Taktschlagen, die Bewegung, das kann jeder lernen. Viel mehr geht es darum, was man mit der Bewegung zum Ausdruck bringt, wie man etwas ausdrückt damit und wie man mit dem Orchester kommuniziert. Das ist das Wichtigste. Und das kann man im Theorieunterricht nicht lernen, dass muss man mit einem Orchester erarbeiten. Ein Geiger kann üben, wann er will. Ein Dirigent hat nicht immer ein Orchester zur Verfügung. Er kann zwar vor dem Spiegel stehen und üben, aber da kommt relativ wenig zurück…

WOS: Was zeichnet einen guten Dirigenten aus?
PATRICK: Das Orchester merkt sofort, ob ein Dirigent etwas drauf hat oder nicht. Früher war der Dirigent der große Maestro, vor dem alle Angst haben mussten. Viele vom alten Schlag arbeiten so. Immer mehr kommt aber auch die Ansicht, dass der Dirigent dem Orchester Sympathie entgegenbringen muss. Man vermittelt als Dirigent dem Orchester das Gefühl, gerade das einzig Richtige zu machen. Das Wichtigste für den Dirigenten ist die Vorstellung von der Musik. Wenn die nicht überzeugend ist, klappt es nicht.

WOS: Wie kommt man zu dieser Vorstellung?
Durch in sich gehen. Man studiert das Stück, lernt das Werk so gut kennen, dass man eigentlich keine Noten mehr braucht. Dann kann man frei musizieren mit dem Orchester. Manche hören sich Aufnahmen von anderen Dirigenten an, um einen Eindruck zu bekommen. Andere lesen das Stück und verzichten bewusst darauf, Aufnahmen zu hören.

WOS: Der Dirigent interpretiert also das Stück und ist der Vermittler zwischen Orchester und Publikum?
PATRICK: Eher zwischen Komponist und Orchester. Der Dirigent selber kann allein gar nichts. Seine Kraft ist es, das Orchester so zu animieren, dass es genau das wiedergibt, von dem der Dirigent glaubt, es ist richtig. Das geht dann direkt aufs Publikum über. Es gibt 100.000 Möglichkeiten, ein Stück aufzuführen, und einer muss vorgeben, wie es gemacht wird. Sonst macht jeder etwas anderes. Der Dirigent sieht sich als Vermittler zwischen Werk und Orchester und interpretiert das Stück so, wie er glaubt, dass es gemeint war. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Es ist hin und wieder eine Gratwanderung. Man macht das Stück durch die Interpretation zu seinem Stück.

 

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WOS: Beeinflusst deine Erfahrung im Dirigieren deinen Umgang mit anderen Menschen?
PATRICK: Unbewusst bestimmt. Ich bin nicht der Chef, weil ich dirigiere, ich bin nur einer, der halt den Ton angibt. Dieses Miteinander und dieses Einbeziehen anderer Meinungen zieht sich schon auch im normalen Leben durch. Wie man seine Meinung kommuniziert. Diplomatie.

WOS: Welche sind deine Lieblingskomponisten?
PATRICK: Felix Mendelssohn, Antonín Dvořák, Tschaikovsky. Letzteren habe ich vergangenes Jahr bei den Tiroler Festspielen in Erl dirigiert. Eine wahnsinnige Energie!

WOS: Gibt es Komponisten oder Stücke, die du gar nicht magst?
PATRICK: Manchmal gibt es Stücke, die auf den ersten Blick furchtbar langweilig wirken. Wenn man sich dann aber damit beschäftigt und damit arbeitet, versteht man sie auf einmal und es passiert, dass man diese Stücke dann besonders gerne mag. Das ist fast immer so: Wenn man sich mit etwas beschäftigt, wird es interessant. Nicht nur auf die Musik bezogen – das passt auch eins zu eins auf die Flüchtlingsthematik gerade. Überhaupt, diese Parallelen zwischen den ganzen Welten sind omnipräsent.

 

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WOS: Würde es dich reizen, musikalische Welten zu verbinden? Ein Crossover-Projekt im Stil des Geigers David Garrett, der ja Pop und Klassik sehr erfolgreich kombiniert?
Patrick: Wenn es um Marketing geht, macht er alles richtig, aber die Musik steht im Hintergrund. Nur Show. Da gibt’s eine riesen Feuershow, Tänzerinnen mit ganz wenig Bekleidung, ein ganzes Orchester – aber das hört man nicht, man hört nur das Keyboard, das da reindrückt, und den Schlagzeuger! Das Orchester ist nur zum Anschauen da. Das ist ein bissl schade. Als er jung war, hat er mit Abbado gespielt, hat unglaublich gut gespielt. Wenn er heute ein Verdi-Requiem spielt und er spielt einen schnellen Lauf, der zwar geil ist, aber nicht sauber gespielt – da denk ich mir: Du fauler Hund! Du könntest das alles, aber stellst dich halt hin und machst deine Show. Aber: Er macht mehr Geld als wir alle zusammen.

WOS: Mit wem möchtest du gerne einmal arbeiten?
PATRICK: Mit Gustavo Dudamel. Ein junger Dirigent aus Venezuela, der nächstes Jahr das Neujahrskonzert dirigieren wird – als jüngster Dirigent mit seinen 37 Jahren. Der hat eine Riesenkarriere hingelegt, ist sehr charismatisch. Ein richtiger Star. Viele Kollegen, vor allem ältere mit viel Erfahrung, sagen ihm Effekthascherei nach, aber ich glaube, er hat wirklich was drauf. Ich würde gerne einmal mit ihm zusammenarbeiten und ihn kennenlernen, um mich davon selbst zu überzeugen. Er ist schon ein Vorbild für mich.

WOS: Wann dirigierst du das Neujahrskonzert?
PATRICK: Ich war der Meinung, man muss mindestens 60 sein, um das zu dirigieren, jetzt dirigiert es ein 37jähriger. Also schauen wir mal…