Die Pflege der Seele: Alte Menschen zu begleiten geht übers Arschputzen weit hinaus

Viele Oststeirer und Oststeirerinnen überlegen, einen sozialen Beruf in der Altenpflege zu ergreifen. Hier erhoffen sie sich einen sicheren Arbeitsplatz. Dem gegenüber steht die Angst vor unangenehmen Aufgaben und großer körperlicher und seelischer Belastung. Doch wie hart ist der Beruf der Pflegekraft wirklich? WIR OSTSTEIRER haben eine absolute Expertin zu diesem Thema befragt.

Sonja Schiff hat lange Jahre in genau diesem Bereich gearbeitet. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen hat sie in dem Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“ verarbeitet.

WIR OSTSTEIRER (WOS): Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass die Altenpflege deine Berufung ist?
Sonja Schiff: Ich würde nicht sagen, dass Altenpflege meine Berufung ist. Meine wahre Berufung ist es, Menschen zu begegnen. Ich bin sehr neugierig auf Menschen, trete gerne in Beziehung, höre Menschen gerne zu. Dass ich lange Zeit im Bereich Altenpflege gearbeitet habe, war eher Zufall. Davor habe ich in einer Psychiatrie gearbeitet, da waren es Menschen in Lebenskrisen, vor allem Menschen nach einem Selbstmordversuch. Und heute als Seminarleiterin trete ich in Beziehung mit meinen Seminarteilnehmerinnen.

WOS: Bei der Altenpflege denken viele zuerst an die unangenehmeren Tätigkeiten und Aufgabenfelder – beim Anziehen und Ausscheiden helfen, bei der Nahrungsunterstützung, Körperpflege… Doch du beschreibst in deinem Buch noch eine ganz andere Seite.
Sonja:
Zu mir sagte einmal ein junger Mann, der beruflich sehr orientierungslos war und dem ich empfahl, Altenpfleger zu werden: „Was ich sicher nie in meinem Leben werden möchte ist ein Arschputzer.“ Ja, irgendwie schafft die Altenpflege es nicht so richtig, den Menschen zu vermitteln, dass alte Menschen zu pflegen nicht nur die körperliche Pflege umfasst, sondern auch die Pflege der Seele.

Es geht in diesem Beruf natürlich darum, den Menschen Essen zu geben, sie zu waschen oder sie von Kot und Urin zu befreien. Aber es geht auch darum, ihnen zuzuhören, ihre im Leben erbrachten Leistungen wertzuschätzen.

sonja schiff
Sonja Schiff

Alte Menschen waren einmal mitten im Leben, sie waren berufstätig, sie haben Kinder bekommen und erzogen, ein Haus gebaut und, nicht zu vergessen, nach dem Krieg ein Land wieder aufgebaut. In der Altenpflege finden tiefe Begegnungen statt, es geht darum gelebtes Leben wertzuschätzen. Auch das ist Teil unserer Arbeit. Der Teil, der mich am meisten fasziniert und warum Altenpflege für mich der coolste Job der Welt ist.

WOS: Was auch vielen beim „coolsten Job der Welt“ zu denken gibt, ist die ständige, direkte Konfrontation mit Leid, Krankheit und Tod. Wie lernt man, damit umzugehen?
Sonja:
Leider wird in vielen Krankenpflegeschulen Abgrenzung propagiert und vielfach wird darunter die Abschottung vor eigenen Gefühle verstanden. Das halte ich für eine äußerst bedauerliche Interpretation von Professionalität. Für mich ist Altenpflege ein Beruf, in dem das in Beziehung treten mit Menschen im Mittelpunkt steht und dabei entstehen auch Gefühle.

Wenn mir eine alte Frau davon erzählt, dass sie ein Kind verloren hat und dabei weint, dann trifft mich das in meinem Herzen. Wenn ein alter Mann mir erzählt, wie es war als er nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft nach Hause kam und das erste Mal sein Kind in den Arm nahm, dann spüre auch ich seine Freude von damals und verdrücke vielleicht auch eine Träne. Abgrenzung heißt für mich nicht, keine Gefühle zu haben, sondern einfach nur, mir in den Begegnungen mit alten Menschen bewusst zu sein, dass ihr Leid, ihr Schmerz, nicht mein Schmerz ist.

WOS: Du wirkst wie ein „Fels in der Brandung“ und strahlst immer eine unglaublich ansteckende, sehr positive Energie aus. Hattest du schon immer so ein sonniges Gemüt und eine innere Ruhe oder hat sich das über die Jahre entwickelt?
Sonja:
Als junges Mädchen war ich das Gegenteil davon. Ich war unsicher, hatte Angst vor dem Leben, hab mir nichts zugetraut, fand alles an mir falsch – zu dick, zu dumm, zu langweilig. Ich denke, dass ich da eben sehr viel mitgenommen habe von den alten Menschen. Der ständige Kontakt zu Menschen, die nach einem langen Leben die letzten Schritte machen, die von ihren Erfahrungen erzählen, die haben mich sicher sehr geprägt. Irgendwie lernt man da schon einen anderen Blick aufs Leben, darauf was wirklich wichtig ist und was unwichtig. Vor Jahren habe ich in meinem Hirn eine Schublade eingerichtet, die nennt sich „galaktisch betrachtet unerheblich“, da kommt alles rein, was mich im Moment aufregt – an mir oder anderen – aber im Prinzip völlig unwichtig ist. Vielleicht hat mich diese Schublade so entspannt!


Sonja Schiff ist unter anderem akademische Gerontologin, 50plus- sowie Altenpflegeexpertin, diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester, Bloggerin, Autorin und bekennender Gutmensch. Sie verfügt über langjährige Erfahrung als Seminarleiterin, Sozialmanagerin und Initiatorin von Kulturprojekten.

Mit ihrem ersten Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“ hat sie ausschließlich positive Kritiken geerntet. Viele berührende, erhellende, tragikomische Momente aus Sonjas Laufbahn als Altenpflegerin finden sich darin.