Alles sitzen friedlich vereint um den Christbaum und haben sich lieb – das ist die Idealvorstellung von Weihnachten. Wie kommt es dann, dass gerade zu Weihnachten so oft die Fetzen fliegen? Wir haben mit Mentaltrainerin Ulrike Seifert darüber gesprochen und uns von der Expertin Tipps geholt, wie Weihnachten doch noch friedlich werden kann.
WIR OSTSTEIRER (WOS): Warum kracht es gerade zu Weihnachten so häufig in Familien oder Partnerschaften?
Ulrike Seifert: Das liegt häufig an der Erwartungshaltung: Unterm Christbaum ist alles gut. Oft kracht es aus ganz gewichtigen Gründen: Er schneidet die Weihnachtsgans falsch an oder sie macht den Kartoffelsalat zu salzig. Dann ist die Enttäuschung groß: Nicht einmal zu Weihnachten klappt es.
WOS: Diese nichtigen Anlässe zum Streiten – was steckt da wirklich dahinter?
Ulrike: Wir alle möchten geliebt werden. Über diese Erwartung vergessen wir, uns selbst zu prüfen, ob wir lieben. Die Wenigsten gehen zum Weihnachtsfest mit dem Gedanken „Ich liebe alle, die heute da sind“. Umgekehrt sind manche frustriert, weil sie selbst so sehr lieben und das Gefühl haben, der andere liebt mich nicht. Die Erwartungshaltung und dieses zu viel oder zu wenig an empfundener Liebe sorgt für Konflikte.
WOS: Wie kann man von dieser Erwartungshaltung weg kommen?
Ulrike: Der andere kann uns nicht so lieben, wie wir ihn lieben. Er liebt anders. Das hat man ja ursprünglich lieb gewonnen. Daran kann man sich erinnern, und dann ist es auch leichter, diese Erwartungshaltung aufzugeben, dass der Partner zum Beispiel wissen muss, was ich mir zu Weihnachten wünsche. Das kann der andere nicht! Im besten Fall gibt man einen kleinen Hinweis. Die Akzeptanz „der andere lieb mich anders“ kommt dann, wenn ich das Kontrollverhalten „wenn du das nicht tust, liebst du mich nicht“ einstelle und dem anderen zutraue, dass er mein reifer Partner ist. Wenn man das gar nicht zutraut, ist das kindliche oder trotzige Verhalten die Reaktion.
WOS: Und wenn der Partner gar nicht das Problem ist, sondern die restliche Verwandtschaft?
Ulrike: Die Frage ist immer, was kann ich tun, um diese Geschichte anders als sonst laufen zu lassen. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten. Sinnvoll ist es sicher, zuerst einmal das Gespräch zu suchen. Den Teppich, unter den das ganze Jahr alles gekehrt wird, einmal aufheben. Rund um den Adventkranz kann man schon vorab einige Dinge klären, damit nicht erst zu Weihnachten alles auf den Tisch kommen muss.
WOS: Und wenn dieses Gesprächsangebot nicht angenommen wird?
Ulrike: Alle erwarten wieder Schinkenrollen und 25 Sorten Kekse und dass alles ist wie jedes Jahr – der Streit kommt aber auch wie jedes Jahr. Keiner will es, aber es passiert. Dann kann man immer noch aussteigen aus dem jährlichen Spiel. Klar und deutlich, kurz und bündig – da spiel ich heuer nicht mit. Dann bin ich nicht mit dabei unter dem Christbaum, weil der ungeklärte Konflikt mir zu viel Sprengstoff hat.
Aus dem Spiel aussteigen ist eine paradoxe Intervention, so nennt man das in der Psychologie. Das ist ein mutiger Schritt, der zeigt: Da muss eine Veränderung her. Es geht nicht darum, Weihnachten hinzuschmeißen, sondern eine Pause einzufordern, um sich neu zu orientieren. Dann kann man immer noch schauen, wie es im nächsten Jahr gehen kann.
WOS: Diese Schritte erfordern dann aber auch, die rosarote Weihnachtsbrille abzunehmen…
Ulrike: Ich weiß gar nicht, ob das noch eine rosarote Brille ist oder schon eine Augenbinde. Damit kann man aber nichts anschauen. Es ist so wichtig, hinzuschauen, ob es das ist, was ich leben will. Ich kann natürlich auch im Advent jeden Tag Punsch trinken gehen, dann brauch ich mit damit nicht befassen – und es kracht zu Weihnachten trotzdem.
WOS: Dabei will man doch einfach nur schöne Weihnachten haben – und dann spielen die anderen nicht mit.
Ulrike: Wir haben alle das kleine Mädchen oder den kleinen Buben in uns, und die wollen Freude haben zu Weihnachten. Darum ist die Sehnsucht so groß, das mit den anderen gemeinsam zu erleben.
Gerade zu Weihnachten sollten wir auch das Kind in uns selbst sehen. Wir wollen ja selber immer noch unterm Christbaum stehen mit großen Augen. Wenn man das will, muss man aber auch für sein inneres Kind sorgen. Wenn wir das aber wirklich spüren, dann können wir gar nicht auf Streit zugehen. Dann müssen wir sagen, wir wollen das heuer anders. Und dann fällt einem eine Lösung ein.
Nicht bis zum Heiligen Abend alles unter den Teppich kehren und dann krachts erst recht. Man kann so viel im Vorfeld besprechen und den Advent, die Wartezeit auf Weihnachten, schon nutzen für die Klärung von Beziehungen. Miteinander feiern ist etwas, das verbinden kann, wenn man Mut zu neuen Traditionen hat!
Ulrike Seifert ist dipl. Lebens- und Sozialberaterin und lebt in Fehring. Sie berät Paare und Einzelpersonen in Krisen und Konflikten. Kontakt: 0664 / 960 50 67. WIR OSTSTEIRER danken für das Gespräch.