Wir sitzen zu dritt zusammen und spielen Karten. Ich kann nicht einmal Schnapsen, aber das Spiel, das uns gerade beschäftigt, habe ich überraschend schnell kapiert. Meine Freundin K spielt schon wie ein alter Profi.
Mit vollem Bauch sitzen wir da. Unser Gastgeber M hat für uns gekocht, etwas Einfaches, wie er meint. Früher, erklärt er, habe er nur Eier gekocht. Seine Mutter habe ihm die Rezepte geschickt.
Ms Mitbewohner haben sich diesen Abend noch nicht blicken lassen. Vermutlich hat ihnen M nahegelegt, sich eine andere Freizeitbeschäftigung zu suchen, solange er Gäste hat. Also sitzen wir ganz ungestört in Ms Zimmer.
Früher hatte er eine schöne Wohnung, und das hier soll nur eine Übergangslösung sein. Wie lange er hier wohnen bleibt, weiß er noch nicht. Wir freuen uns auf einen schönen Abend.
Noch einmal von vorne
K und ich stehen vor dem ehemaligen Gleisdorfer Bezirksgericht. Jetzt ist es ein Flüchtlingsheim. Hier werden wir die nächsten Stunden verbringen. M ist schon an der Tür, er hat uns von seinem Fenster aus gesehen. Er wirkt nervös und aufgeregt. Hier Gäste zu empfangen, hat ihn sicher einiges an Überwindung gekostet, und er freut sich, dass wir tatsächlich gekommen sind. Wir folgen ihm in das große Gebäude, hinauf in den ersten Stock.
Ich war schon einmal hier, vor vielen Jahren, und ich erinnere mich nicht so gern daran. Auf den heutigen Besuch freue ich mich. Wie eigenartig ist es, ausgerechnet in einem Flüchtlingsheim darauf zu hoffen, unangenehme Erinnerungen mit angenehmen auszugleichen?
M führt uns in sein Zimmer. Früher einmal muss das hier ein Büro gewesen sein oder ein Lagerraum. Heute leben auf den nicht einmal 20 Quadratmetern bis zu vier Personen. Zwei Stockbetten, ein Kühlschrank, vier schmale Kleiderschränke, eine Kommode und ein kleiner Tisch mit drei Stühlen mittendrin. Kaum Platz zum Umfallen.
M könnte uns kaum zuvorkommender bewirten, säßen wir in einem Palast. Wir genießen Hühnerfleisch mit Nüssen und mit Gemüse, dazu Reis, Fladenbrot, Salat. Typische iranische Küche. Es schmeckt ausgezeichnet, und auch der Wein, den M besorgt hat, mundet. Kaum zu glauben, dass M diese Köstlichkeiten in der hauseigenen Gemeinschaftsküche gezaubert hat, die er sich mit 70 anderen Leuten teilen muss.
Wir unterhalten uns so angeregt, dass wir fast vergessen, wo wir sind. Aus dem oberen Stockwerk dringt Lärm, Kindergeschrei und Fußgetrampel. M entschuldigt sich dafür. Nicht alle hier wüssten sich zu benehmen, meint er. Hier treffen so viele unterschiedliche Menschen und Kulturen auf engstem Raum aufeinander, dass Meinungsverschiedenheiten nicht ausbleiben. „Die Flüchtlinge“ als große, einheitliche Masse – spätestens jetzt haben wir verstanden, dass das ein Märchen ist.
Nach dem Essen zeigt uns M ein iranisches Kartenspiel. Es nennt sich Hokm. Unser Gastgeber hat es so gut erklärt, dass ich nach der ersten Übungsrunde sogar ein paar Stiche mache. Beim Schnapsen hätte ich komplett versagt. M hält sich anfangs zurück, ist beim Geben patschert, bis er merkt, dass K mindestens auf seinem Niveau spielt. Plötzlich lässt er die Tarnung fallen, mischt wie ein Casinodealer, lässt die Karten gekonnt ineinander gleiten und grinst dabei.
Es ist spät geworden, langsam wollen wir aufbrechen. M begleitet uns nach unten und wir bekommen einen weiteren Eindruck von seinem Zuhause: Der Gemeinschaftsraum mit den abgenutzten Polstermöbeln. Die Küche mit einer Reihe E-Herden an der einen und zwei Spülbecken und Arbeitsflächen an der anderen Wand. Die Sanitäranlagen: Vor und nach dem Duschen muss man ins Freie, selten ist genug warmes Wasser für alle da.
Wir rauchen im Hof noch gemeinsam eine Zigarette, K und ich erzählen von den schlimmsten Behausungen, in denen wir je gelebt haben, reden von Duschen in der Küche und Kochplatten im Badezimmer. M lächelt wieder. Es war ein schöner Abend.