Wenn sich das Babyglück an keinen Zeitplan hält: Frühchen-Eltern erzählen

„Du wartest und hoffst. In Rückenlage. Füße hochgestellt. Wehenhemmer durchgehend. Den stärksten. Damit fährst du mit 160 Puls durch die Gegend, weil er Herzrasen verursacht. Du willst raus aus dem Körper. Die Halsschalgader pumpt. Und du liegst da und weißt, du darfst dich nicht bewegen, um deinen Kindern zu helfen.“

 

Wenn ein Baby sich ankündigt, sind Aufregung und Vorfreude groß. Man hofft, dass alles gut geht und kann es kaum erwarten, den kleinen Schatz im Arm zu halten. Genau so ging es Irene und Walter. Überglücklich waren die beiden, als sie erfuhren, dass Irene schwanger ist. Und dann kam alles ganz anders, als sie es erwartet hatten. Uns haben Irene und Walter ihre Geschichte erzählt. Warum sie das tun? Weil sie anderen Eltern Mut machen wollen. Denn leicht war es nicht, was das Paar und ihr Nachwuchs erlebt haben.

Doppeltes Glück in der halben Zeit

frühchen
Irene und Walter haben beschlossen, ihre Geschichte zu erzählen, um anderen Eltern Mut zu machen.

Irene erfuhr im August 2015, dass sie schwanger ist. Drei Tage später stellte sich heraus: Es sind zwei Babys! Errechneter Geburtstermin: 13. April 2016. „Walter hat zehn Minuten lang nur gelacht, als ich ihm gesagt habe, dass wir Zwillinge bekommen!“, erzählt Irene. „Vor lauter Schock wahrscheinlich…“

Das lässt Walter so nicht gelten. „Ich hab mich einfach nur gefreut! Ich bin um halb drei in der Früh von der Arbeit gekommen, und Irene hat auf mich gewartet, um mir die Neuigkeit zu erzählen. Nach dem Lachanfall bin ich zum Kühlschrank gegangen, hab mir ein Bier geholt und mich damit an den Tisch gesetzt. Kein Radio, kein Fernseher, kein Handy. Ich hab in die Luft geschaut und mein Bier getrunken. Was mit da durch den Kopf gegangen ist, weiß ich gar nicht mehr. Alles.“

Gleich zwei Kinder. Schafft man das? Geht das? Wie geht das? Wie wird das werden? Wie es geworden ist, war damals noch nicht absehbar.

Die erste Zeit der Schwangerschaft war anstrengend für Irene. „Mir war 18 Wochen lang dauerschlecht. Alle zwei Stunden habe ich mich zum Essen gezwungen, um den Blutzuckerspiegel stabil zu halten.“ Danach wurde es besser. Irene ging es gut. „Ich hab mich gefreut, denn ich wusste, ich habe noch Zeit, um es zu genießen.“ Was für ein Irrtum.

„Liegen bleiben, nicht mehr bewegen“

Am 5. Jänner bekam Irene Bauchschmerzen. „Zuerst habe ich an Verstopfung gedacht. Das hat man in der Schwangerschaft ja öfter.“ Weil die Schmerzen aber auch nach dem Gang auf die Toilette nicht aufhörten, fuhren Irene und Walter am frühen Morgen ins Krankenhaus. Die Bauchkrämpfe meldeten sich jede halbe Stunde. Vorwehen. In der 26. Schwangerschaftswoche.

Im Feldbacher Spital wurde Irene gleich untersucht. „Die Assistenzärztin hat gleich gesehen, was das Problem ist, hat mir aber nichts gesagt, sondern gleich die Oberärztin geholt,“ berichtet Irene. „Die hat mich noch einmal untersucht, weil sie der Assistenzärztin nicht glauben wollte.“ Doch die lag richtig.

Das nächste, was Irene hörte: „Frau P., liegen bleiben, nicht mehr bewegen.“ Der Muttermund war bereits geöffnet, die Fruchtblase und ein Babyfüßchen ragten heraus.

Ab nach Graz. Liegend. Regungslos. Der Hubschrauber kann wegen Nebels nicht starten, also im Krankenwagen. Die Assistenzärztin, die eigentlich schon dienstfrei hat, fährt mit. Walter im Auto hinterher.

Irene bekommt noch in Feldbach Medikamente, die den Kindern helfen und die Lungenreife unterstützen sollen. Sie sind ja noch viel zu klein. Das Gewicht geschätzt auf 750 bis 800 Gramm. Die 26. Woche. Vierzig hätten es sein sollen.

„Ab diesem Moment funktionierst du nur noch,“ erzählen Irene und Walter. „Aufregen bringt nichts, schadet nur den Kindern.“ Ruhig bleiben. Vertrauen.

Rein, was rein geht

In Graz ist schon alles vorbereitet. Irene kommt ins Kreißzimmer, fünf Ärzte marschieren auf. Leichte Anflüge von Panik. Ruhig bleiben. Wehenhemmer, Ultraschall und Wehenschreiber – und dann warten. Hoffen. So lange wie möglich aushalten, um die Kinder noch reifen zu lassen. Jeder Tag zählt. Ab der 25. Woche lohnt es sich, zu kämpfen, sagen die Ärzte.

„Man wird am ersten Tag über alles aufgeklärt, was passieren kann. Das will man in diesem Moment eigentlich nicht hören,“ meint Irene. Aber was sein muss, muss sein. Im Notfall muss es schnell gehen, da ist keine Zeit mehr für Papierkram.

Walter ist die ganze Zeit an Irenes Seite, fährt nur zum Schlafen nach Hause. „Er war mein Fels in der Brandung,“ meint Irene.

Irene bekommt Wehenhemmer. Antibiotika, weil die Entzündungswerte nicht passen. Flüssigkeit. Medikamente für Lungenreife und Gehirnentwicklung der Kinder. Alles läuft über ihren Blutkreislauf. Links Nadeln im Arm, rechts Nadeln im Arm. Zwei Infusionen auf einer Leitung. Rein, was rein geht, und das möglichst schnell.

Eine enorme Belastung für Irenes Körper. Sie hat Herzrasen, eine Nebenwirkung des starken Wehenhemmers. „Du möchtest am liebsten raus aus deinem Körper, aber du musst liegen bleiben, um deinen Kindern zu helfen.“

Am Samstag dann das Gefühl: Irgend etwas passt nicht. Walter bleibt, fährt nicht nach Hause zum Schlafen. Das Gefühl hat nicht getäuscht. Die Entzündungswerte sind in die Höhe geschnellt. Gegen zehn kommt die Ärztin: „Gut, dass Sie noch da sind, Herr P. Ich muss Ihnen leider mitteilen, wir müssen die Kinder jetzt holen.“

Wieder der Gedanke: Sie sind noch so klein. Haben sie eine Chance? Walter und Irene vertrauen darauf, dass sie in guten Händen sind und die Ärzte wissen, was sie tun.

Der Kaiserschnitt wird vorbereitet. Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Trotzdem schaffen es die beiden noch immer, ruhig zu bleiben. „Keine Ahnung, warum,“ meint Walter, „aber ich war wirklich cool. Sachlich. Nervös sein bringt nichts, hab ich mir gesagt. Irene mit meiner Nervosität anzustecken, wäre das Schlechteste. Das hat funktioniert.“ Irenes Mantra lautete: „Wir können uns jetzt nicht aufregen, damit schaden wir nur unseren Kindern.“

„Sie sind noch so klein, hoffentlich geht das gut.“

Um dreiviertel elf kommt Irene in den OP. Kreuzstich. Der wirkt nicht schnell genug. Also: Vollnarkose. Irene ist froh, nicht alles mitbekommen zu müssen. Aber für die Kinder ist die Vollnarkose nicht so gut. Sie werden schlapp davon, das macht die Sache mit der Atmung schwieriger.

Walter wartet indessen vor dem OP. Zwanzig Minuten sollte es dauern. „Gerechnet habe ich mit einer halben Stunde.“ Erst nach 45 Minuten kommt die erlösende Nachricht: Die Kinder sind da.

Am 9. Jänner um 23.32 kommt Tobias zur Welt, zwei Minuten später sein Bruder Lukas. Knapp über einen Kilo wiegen die beiden, sind ungefähr 35 cm groß. Und sie sind gesund.

Frühchen
Tobias, der ältere der beiden Brüder. So klein und zart, und trotzdem schon so stark.

Die beiden kleinen Kämpfer, die es so eilig hatten auf die Welt zu kommen, werden sofort intubiert. Sie bekommen ein Medikament, dass der Lunge helfen soll, sich zu entfalten. Es funktioniert: Nach zehn Minuten wird die Haut rosig, nach einer Stunde kann der Tubus entfernt werden.

Walter darf zu seinen beiden Buben und ist überwältigt. Sie anzufassen traut er sich noch nicht. Er fährt nach Hause, duscht, schläft kurz, nimmt erste Glückwünsche der Nachbarn entgegen. Dann fährt er wieder in Krankenhaus. „Dann habe ich es aber gebraucht, die Kinder endlich auch zu berühren!“

frühchen
Lukas im Inkubator. Eine handvoll Baby.

Irene, mit Medikamenten vollgepumpt, ist erst am nächsten Tag in der Lage, ihre Kinder zu sehen: „Da liegen sie im Inkubator. Wie zwei kleine Häufchen Elend. Und das sind deine Babys. Es hat gedauert, bis ich realisiert hatte: Ich bin jetzt Mama.“

Die Haut der Babys ist glasig, klebrig. Dünn. Empfindlich. Reizempfindlich. Nicht streicheln. Nicht reiben. Nur sanft berühren. Beide sind gesund. Alles dran. Alles da. Sie essen. Die Verdauung funktioniert. Was für eine Freude eine volle Windel bedeuten kann!

Die folgenden Wochen sind für Irene und Walter geprägt von vielen Stunden im Krankenhaus. Sie werden zu Experten, was Frühchen betrifft. Lernen, das Gepiepse und Geblinke der verschiedenen medizinischen Geräte zu deuten. Kuscheln mit ihren Kindern. Weinen, wenn sie nach Hause fahren und die Buben im Krankenhaus zurücklassen müssen.

Gemeinsam stehen sie diese Zeit durch und werden als Paar noch stärker. Beide sind stolz auf ihre Buben. „Da kann sich mancher Erwachsene etwas davon abschauen, was diese Kinder für einen Überlebenswillen haben!“, sagt Walter und meint damit nicht nur seine Buben, sondern alle Frühchen, die sich so ins Leben kämpfen müssen.

Nach 74 Tagen im Krankenhaus darf Tobias am 23. März nach Hause zu seinen Eltern. Wenige Tage später, am 4. April, ist es auch für Lukas so weit, nach 87 Tagen im Krankenhaus. Tobias, Lukas, Irene und Walter geht es gut: „Wir beginnen jetzt, unser Leben als Familie zu genießen.“


 

Irene und Walter waren mit ihren beiden Kindern auf der Geburtenstation der Frauenklinik und auf der Neonatologie der Kinderklinik im LKH Graz. Es ist ihnen ein anliegen, sich bei allen Ärzten und Ärztinnen, Hebammen, Krankenschwestern und Pflegern zu bedanken: „Die wissen dort echt, was sie tun. Wir waren in den besten Händen.“

WIR OSTSTEIRER danken Iene und Walter für ihre Offenheit, für ihren Mut und für ihre Kraft. Wir wünschen der jungen Familie alles Gute und drücken allen Eltern und Kindern, die Ähnliches erleben, ganz fest die Daumen.